Studium

 

Einführung in das Jüdische Recht - ein Ansatz

 

Negative Begriffsbestimmung:

Was nicht unter dem  Begriff „Jüdisches Recht“ verstanden werden kann.

Der Jurastudent, der im Vorlesungsverzeichnis seiner Universität und den angebotenen Fächern „Jüdisches Recht“ sieht, wird vermutlich zuerst staunen, jedoch dann überlegen, was es damit auf sich hat. Analog gedacht wird es sich um das Recht der Juden handeln, so wie das chinesische Recht eben das Recht ist, das in China praktiziert wird. Juden haben einen Staat, der Judenstaat namens Israel. Wird es sich also bei der Bezeichnung jüdisches Recht um das Recht des Staates Israel handeln? Das ist jedoch unwahrscheinlich, da dieses Recht „israelisches Recht“ heißen müsste.

Ob dieses jüdische Recht das von den Juden außerhalb Israels, also von den in der so genannten Diaspora lebenden Juden praktizierte Recht ist? Das kann schon deswegen nicht zutreffen, da Juden sich wie alle Staatsbürger nach dem Recht des Landes richten, in dem sie leben (obschon: Im Mittelalter besaßen Glaubensgemeinschaften in mehreren Ländern eine Rechtsautonomie).

Am wahrscheinlichsten wäre noch die Vermutung, es handle sich um das kanonische Recht der Juden, also um das „Synagogen-Recht“, das in religiösen jüdischen Gemeinden mit einem Rabbiner als geistlichen Seelsorger praktiziert würde. Wäre dies der Fall, dann würde es, wenn überhaupt, in Priesterseminaren oder in den Fächern der vergleichenden Religionswissenschaften angeboten.

Eine Analogie zum Fach römisches Recht ist eine weitere in Betracht kommende Möglichkeit. Das römische Recht wurde im alten Rom praktiziert, wurde später durch die Ausweitung des römischen Imperiums in einigen Ländern rezipiert und übte seinen Einfluss auf das Rechtsdenken und die Rechtssysteme in der Neuzeit. Bedenkt man, dass das neuere deutsche Recht, so z.B. das BGB, in nicht unerheblichem Umfang Rechtsgedanken des römischen Rechts übernommen hat, ist das Studium des römischen Rechts an deutschen Universitäten eine Selbstverständlichkeit.

Der Einfluss des jüdischen Rechts auf Rechtssysteme der Neuzeit ist relativ gering, selbst wenn man in den letzten Jahren Bestrebungen in dieser Richtung von Seiten der jüdischen Orthodoxie in Israel beobachten kann. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem römischen und dem jüdischen Recht kann trotzdem konstatiert werden: Beide Rechtssysteme haben ihre Wurzeln in der Antike und haben sich während vieler Jahrhunderte vorwiegend durch Rechtsgelehrte, durch Rechtgutachten und Rechtsprechung weiterentwickelt.

Positive Begriffsbestimmung:

Wie nähert man sich der Klassifizierung des „Jüdischen Rechts“?

Tatsächlich sollte man zunächst die geschichtlichen Wurzeln des jüdischen Rechts untersuchen und versuchen, von da aus einer Klärung näher zu kommen. Die Rechtsgelehrten waren und sind sich einig, dass den Grundstock und die Quelle des jüdischen Rechts die hebräische Bibel, oder enger gefasst die ersten Bücher dieses Werkes, die fünf Bücher Moses, bilden.

Es wäre falsch, sich diese Bücher als ein Gesetzeswerk vorzustellen, wie etwa den Kodex Hammurabi (um 1700 vdZ). Die fünf Bücher Moses, auch Tora (die Lehre) genannt, sind ein Konglomerat von Geschichten, die im Wesentlichen die Entstehung der Welt, die Konstituierung des jüdischen (israelitischen) Volkes, die Verleihung der zehn Gebote und die Besiedlung des Landes Kanaan erklären und beschreiben wollen. Hinzu kommen verstreut in all diesen Büchern Gesetze, ethische Normen und Verhaltensregeln.

Zeitliche Einordnung: Dass die Tora nicht aus einem Guss entstand, ist den Forschern schon seit langem klar. Sie streiten sich immer noch über den Zeitpunkt der Niederschrift von einzelnen Teilen dieser Bücher. Allgemein wird jedoch folgendes angenommen: Die meisten Teile der hebräischen Bibel, insbesondere die ersten fünf Bücher, haben ihre schriftliche Niederlegung im 6. Jh. vdZ (zur Zeit des Esra) erfahren. Seit dieser Zeit, und das wird ebenfalls allgemein angenommen, befolgten die Juden die Normen der fünf Bücher. Das mosaische Recht war also für die Juden das geltende Recht.

Das mosaische Recht:

Das jüdische Recht erfuhr in seinen Anfängen keine Kodifikation, seine Niederschrift stand für die Begründung eines Rechtssystems.

Über die Jurisdiktion jener Zeit gibt es kaum Informationen. Eins kann mit Sicherheit gesagt werden: Sich zurechtzufinden in dieser ungeordneten Ansammlung von Rechts- und anderen Normen, Ratschlägen, Empfehlungen und Strafandrohungen war sicherlich kaum möglich. Man kann sich kaum vorstellen, wie die Rechtsfindung in der Praxis aussah. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Die kompakteste Sammlung von Rechtsvorschriften findet sich im 2. Buch Moses im Anschluss an die zehn Gebote (die für heutige Vorstellungen nicht als Gesetze formuliert sind), beginnend mit Kapitel 21. Als erstes wird die Rechtsstellung des hebräischen Sklaven ausführlich beschrieben (die im Vergleich mit anderen Rechtssystemen sehr human ist). Dann folgen einige strafrechtliche Vorschriften, insbesondere über Diebstahl und Totschlag, dann über Darlehen und das Verbot von Zinsen (was für eine arme landwirtschaftliche Kultur sehr menschlich aber auch zwingend war). Kapitel 23 beschäftigt sich mit Richterrecht und weist fortschrittliche Vorschriften zum Verhalten der Richter aus. Zwischen diesen Vorschriften befindet sich ein freundlicher Ratschlag, wie man mit seinen Feinden umgehen soll:

Wenn du siehst, wie der Esel deines Gegners unter der Last zusammenbricht, dann … leiste ihm Hilfe!

Danach folgen die Vorschriften über die Heiligung des Sabbats, also über die Einrichtung eines Ruhetages in der Woche und zwar für alle Personen im Haushalt (einschließlich Sklaven) und für Alle Tiere des Gehöfts. Nicht zu vergessen sind zahlreiche Vorschriften über den Bau des Tempels und über den Opferdienst an Gott in demselben (diese sind ausführlich im 3. Buch, dem so genannten Priesterbuch, beschrieben).

Aus dieser Darstellung wird bereits erkennbar, dass das mosaische Recht kein einheitliches System ist und dass damit schwer zu operieren war. Aus diesem Grund (aber auch wegen Verständigungsschwierigkeiten des gemeinen Volkes) wurde bereits in früher Zeit eine beachtenswerte Maßnahme für den Gottesdienst eingeführt: Dreimal in der Woche sollte während der Versammlung zum Gottesdienst (Synagoge = Versammlung) aus der Tora, den fünf Büchern Moses, gelesen werden, wobei das Gelesene erklärt wurde. Die Lesung wird bis zum heutigen Tag weiterhin praktiziert. Diese Maßnahme war multifunktional: Sie bewirkte, dass das Volk in die Rechte und Pflichten eingeweiht und aufgeklärt werden sollte, der Priesterkaste wurde damit das Privileg, über das Wissen des Gesetzes allein zu verfügen, entzogen, und es entstand eine neue Schicht aus Schriftgelehrten, die sich zum größten Teil aus dem einfachen Volk rekrutierten. Damit war der Grundstein für eine zweitausendfünfhundert Jahre währende Interpretationsgeschichte der hebräischen Bibel und des mosaischen Rechts gelegt worden.

Gottes Gesetz:

Das göttliche Element ist vom jüdischen Recht nicht zu trennen, was dazu führt, dass man es hier mit einer Vermischung von ius humanum mit ius divinum zu tun hat.

Viele Gesetzgeber pflegten sich auf die Unterstützung ihres Gottes zu berufen, ja sich sogar auf einen von Gott erteilten Auftrag zu stützen wie z.B. König Hammurabi. Aber auch in späterer Zeit findet man nicht selten Könige von „Gottes Gnaden“, die ihre Legitimation zur Gesetzgebung von Gott ableiten. Das mosaische Recht geht einen Schritt weiter. Sein Ausgangspunkt ist der Glaube, dass nicht nur die zehn Gebote von Gott persönlich in Stein graviert wurden, sondern dass die ganze Tora, die fünf Bücher Moses, von Moses selbst niedergeschrieben wurden, nachdem er sie aus Gottes Mund wahrgenommen hatte (nachzulesen im 2. M.). Die Tora sei eine Offenbarung und enthalte die absolute Wahrheit.

Die zwingende Konsequenz dieses Glaubens besteht in der wichtigsten Regel des jüdischen Rechts: Die Gesetze der Tora sind unveränderbar. Diese Regel stand und steht im Widerspruch zur Wirklichkeit, die sich stets verändert, im Altertum wahrscheinlich nicht so rapide wie in der Neuzeit, jedoch allmählich, im Laufe von Jahrhunderten änderten sich die Gesellschafts- und Wirtschaftsverhältnisse.

Die Königreiche Israel und Juda gingen unter. Das Land wurde von fremden Mächten abhängig. Ein reines Agrarland hat durch die Öffnung zum Ausland den Außenhandel kennen gelernt. Der Einfluss fremder Kulturen machte sich bemerkbar. Wie sollte nun ein unveränderbares Gottes-Gesetz in einer sich verändernden Umwelt angewandt werden? Hier greift die Auslegung ein, die Interpretationskunst, die zum markantesten Charakteristikum des jüdischen Rechts wurde.

Die Auslegungskunst:

Eine Technik, die von den Rechtsgelehrten zur Perfektion entwickelt werden musste, anderenfalls das Recht in seiner antiken Form erstarrt und verkümmert wäre.

Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie die Interpretation eine unveränderbare Gesetzregel umdeuten und verändern kann.

Als die Tora die Talionsregel (Vergeltung von gleichem durch Gleiches) „Auge um Auge“ formuliert hatte, bedeutete das für die Israeliten und für die Judäer einen Fortschritt, ähnlich wie der Hammurabikodex es als Fortschritt für die babylonischen Völker vorsah. Denn mit dieser Regel wurde die in der Stammesgesellschaft übliche Blutrache für gesetzeswidrig erklärt und dem gegenseitigen Vernichten von ganzen Sippschaften wurde Einhalt geboten. Als aber in späterer Zeit die Talion nicht mehr dem Rechtsverständnis der Menschen entsprach, haben die Rechtsgelehrten mit der Hilfe hermeneutischer Regeln „wissenschaftlich nachgewiesen“, dass mit den Worten „Auge um Auge“ nichts anderes von der Tora gemeint war, als eine finanzielle Kompensation, also der Ersatz des Auges um den Wert eines Auges. Die Argumentationskette der Rechtsgelehrten ist dermaßen überzeugend, dass man auch ohne ein gläubiger zu sein geneigt ist, dem zuzustimmen.

Ungehorsame Kinder sollen hingerichtet werden! Das ist das eindeutige Ergebnis des 21. Kapitels im 5. M., der den Fall des widerspenstigen Sohnes behandelt. Wenn auch in der Zeit des Talmuds (die ersten fünf Jahrhunderte unserer Zeitrechnung) niemand auf die Idee gekommen wäre, die Einhaltung dieser Regel einzufordern, haben sich die Talmudaisen mit ihr auseinandergesetzt. Durch eine methodische Analyse und Interpretation der biblischen Stelle sind sie zu dem Schluss gekommen, dass der Fall des „widerspenstigen Sohnes“ schon rein theoretisch niemals eintreten kann. Am Ende der Behandlung dieses Themas heißt es im Talmud: Den widerspenstigen Sohn hat es nie gegeben und wird es nie geben. Die spannende Erörterung dieser Toraregel kann nachgelesen werden in: http://www.juedisches-recht.de/Studium-Protokoll-Januar-2006.html.

Legitimierung der Auslegung:

Die mündliche Lehre (der Talmud), die den überwiegenden Teil des jüdischen Rechts ausmacht und eigentlich für dieses wichtiger als die Tora ist, ist in der schriftlichen Lehre (der Tora) verankert.

Die Anweisungen zum Gerichtsverfahren im 5. M., Kap. 17 haben die entscheidende Legitimation für die Auslegung biblischer Gesetze und für die Rechtsfortbildung geliefert. Wörtlich heißt es da:

8 Wenn bei einem Verfahren … der Fall für dich zu ungewöhnlich liegt, dann sollst du dich aufmachen …

9 und vor … den Richter treten, der dann amtiert.

10 Dann sollst du dich an den Spruch halten, den sie dir … verkünden, und du sollst auf alles, was sie dich lehren, genau achten und es halten.

11 … an das Urteil, das sie fällen, sollst du dich halten.

Als Entscheidend für die Rechtsfortbildung erachteten die Rechtsgelehrten die Worte „der dann amtiert“ im Vers 9. Mit diesen Worten, so die Rechtsphilosophie des jüdischen Rechts, hat die Tora dem Richter, der zu jeder Zeit in der Zukunft zu Gericht sitzen würde, das Recht eingeräumt, nach seiner Rechtsfindung ein Urteil zu fällen.

Aufhebung einer Toranorm:

Die Lehre Moses (die Tora) hatte nicht immer in der Geschichte den extrem sakralen Stellenwert, den sie in späteren Jahrhunderten erlangte.

Seltener, aber nicht ausgeschlossen war es, eine Norm der Tora, die nicht mehr zeitgemäß war, als aufgehoben zu erklären. Im Dekalog ist die Rede von Gott, der „die Verschuldung der Väter an den Kindern, Enkeln und Urenkeln“ ahndet (2. M. 20, 6-7). Dieser Satz impliziert eindeutig eine Sippenhaft und eine Kollektivschuld und Kollektivstrafe. Für die Talmudgelehrten des 4. bis 5. Jahrhunderts hatte dieser Satz offensichtlich keine Bedeutung. Von Kollektivstrafen dieser Zeit ist nichts bekannt. Sie hakten dieses Thema mit einer lakonischen Bemerkung ab (b. Makot 24 a): „Moses sagte: er ahndet der Väter Schuld an den Kindern etc., hierauf kam Ezekiel und hob dies auf, denn es heißt: die Seele, die sündigt, die soll sterben (Ezekiel 18, 20). Moses, der Religionsstifter und Vermittler zwischen Israel und Gott, konnte durch einen anderen Propheten (hier Ezekiel, der 700 Jahre nach ihm lebte) widerlegt werden, und zwar ohne weitere Begründung. Für die Talmudgelehrten, die 800 Jahre nach Ezekiel wirkten, war die Erkenntnis, wie sie Ezekiel seinerzeit verkündete, eine alltägliche Wirklichkeit. Näheres: http://www.juedisches-recht.de/Talmudisches-Moses-Ezekiel.html

Grundrechte:

Nicht jedes Rechtssystem verfügt über Gesetze, die grundlegenden Charakter haben und an denen sich die Menschen im Allgemeinen orientieren können. Das jüdische Recht ist für die Bürger und nicht für Juristen konzipiert worden, weshalb man aus dem offenbarten Recht menschliche Prinzipien herausinterpretierte.

Da die Tora ein offenbartes Recht sein soll, so beinhaltet sie notwendigerweise das gesamte Recht, sowohl die einzelnen Gesetze als auch die verfassungsrechtlichen Normen, die Prinzipien des jüdischen Rechts. Die Hermeneutik und die Interpretation dienten den Rechtsgelehrten einerseits zur Auslegung der Normen im Sinne des jeweiligen Zeitgeistes, andererseits auch zur Schaffung von neuen Normen, insbesondere auch Metanormen. Alles Notwendige sei in der Tora beinhaltet, ob ausdrücklich oder angedeutet. Es warte nur auf die entsprechende Entdeckung.

Ein Beispiel: Die Idee der Gleichheit der Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch die Tora. Sie kommt bei der Sabbat-Gesetzgebung, wie bereits oben angedeutet, zum Ausdruck, sie wird als Maxime bei den Anweisungen für das Gerichtsverfahren und für die Verhaltensregeln der Richter erwähnt, wo es heißt, alle Menschen, reich oder arm, seien gleich zu behandeln, wie auch an anderen Stellen. Die Gelehrten stellten aber fest, dass die Gleichheit aller Menschen in der Tora als eine Art Grundgesetz verankert ist. Im Talmud kommt dies in folgender Diskussion zum Ausdruck: „Ben Asai sagt, ‚liebe deinen Nächsten wie dich selbst’ ist ein wichtiger Grundsatz der Tora. Rabbi Akiva sagt, die Worte ‚im Antlitz Gottes schuf er den Menschen’, sind noch wichtiger“. R. Akiva meinte damit, dass wenn Gott Adam nach seinem Bilde schuf, dann sind alle seine Nachkommen, also die gesamte Menschheit im Antlitz Gottes geschaffen worden, und somit ist jedes menschliche Individuum Gott ähnlich (diese Lehrer lebten in der ersten Hälfte des 2. Jhds). Ausführlich dazu und zum Prinzip der Solidarität: http://www.juedisches-recht.de/Rechtsgeschichte-Solidaritaet.htm

Ein Rechtssystem auf der Wanderschaft:

Verlässt ein Volk sein Land oder es wird unter anderen Völkern verstreut, so wird sein Rechtssystem irrelevant und es verliert die Beziehung dazu. Das ist der Normalfall, anders verhält es sich mit dem jüdischen Volk.

Das erste jüdische Reich, Judäa, fiel im Jahr 586 vdZ mit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar. Der zweite Untergang des jüdischen Reiches wurde mit der Zerstörung Jerusalems 70 ndZ eingeleitet, die Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes 136 ndZ durch die Römer versetzte dem Land einen Todesstoß, von dem es sich nicht mehr erholen konnte. Die Bevölkerung wurde drastisch dezimiert und die geistige Elite fand in den jüdischen Gemeinden in Babylonien ein neues kulturelles Zentrum.

Die Juden nahmen ihr Rechtssystem auf ihre Wanderungen mit sich. Sie studierten es, übten es auch aus, da wo es ihnen gestattet wurde. Eine Blüte erfuhr das jüdische Recht in Babylonien in der Zeit vom 3. bis zum 7. Jahrhundert. Das große Werk der jüdischen Rechtsliteratur (der babylonische Talmud) entstand in dieser Zeit und wurde für das Recht wie auch für das Praktizieren des geistigen und religiösen Lebens maßgebend. Im 10. Jahrhundert verlagerte sich das geistige Zentrum des Judentums nach Westeuropa, in den Jahrhunderten danach nach Osteuropa. Bezeichnend ist, dass die Juden bei all ihren Wanderungen ihre geistige Heimat in der Form des Talmud im Gepäck hatten. Sie hörten nicht auf, das jüdische Recht zu studieren, zu diskutieren, zu entwickeln, auch da, wo sie es nicht anwenden konnten.

Das jüdische Recht wird immer noch studiert, und zwar nicht nur in der von den Juden wieder gewonnen Heimat Israel, sondern auch in Talmudakademien und Rabbinerseminaren in anderen Ländern, obschon es keine praktische Anwendung erfährt. Selbst im jüdischen Staat findet das jüdische Recht nur auf einem sehr begrenzten Gebiet Anwendung.

Für Juristen, insbesondere für die vergleichende Rechtswissenschaft kann das jüdische Recht interessant sein, da es insbesondere für Rechtsprobleme der Moderne ungewöhnliche und originelle Lösungsmöglichkeiten aufweist.

Schlussbemerkung:

Eine umfassende Einführung in das jüdische Recht, wie die von Menachem Elon, umfasst ca. 2000 Seiten. Dieser kurze Beitrag kann lediglich einen kleinen Versuch darstellen. 

Eine Anekdote aus dem Leben des Hillel (ob historisch oder eine Legende ist hier unwichtig) wird im Talmud erzählt:

Einst trat ein Nichtjude vor Hillel und spracht zu ihm: Ich will Jude werden unter der Bedingung, dass du mich die ganze Tora lehrst, während ich auf einem Fuße stehe. Hillel sprach zu ihm: „Was dir verhasst ist, das tu deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora und alles andere ist nur die Erläuterung, geh und lerne sie!“ (b. Schabbat 31a).

Die hier vorgelegte Einführung ist ebenfalls „eine Einführung auf einem Fuß“, sie kann lediglich als ein kleiner Beitrag zum Verständnis des jüdischen Rechts betrachtet werden. Weitere Informationen kann man auf den Webseiten www.juedisches-recht.de erhalten. Das umfangreiche Material dieser Webseite stellt bereits eine kleine Bibliothek dar, die für das Studium so mancher Bereiche des jüdischen Rechts ausreichen dürfte.