Jüdisches Lexikon

WÖRTERBUCH DES

JÜDISCHEN RECHTS
 
 Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927-1930)
erschienenen Beiträge zum jüdischen Recht
 
 MARCUS COHN

 

MUTTERRECHT

Aufgrund der Forschungen J. Bachofens wird angenommen, daß das Familienrecht, das bei fast allen Völkern die gleiche Entwicklung genommen hat, urspr. eine Zeit des Mutterrechts (Matriarchat) kannte und erst später im Laufe der Geschichte zur Herrschaft des Vaters (Patriarchat) übergegangen ist.  Zur Zeit des M.'s, welcher noch andere frühere Ehestufen vorangegangen sind, bildet die Mutter, welche sich mit vielen Männern ehelich verbindet (Polyandrie), den Mittelpunkt der Familie und der Verwandtschaft; sie verfügt über das Familieneigentum und darf es vererben.  Die nicht bestreitbare Abstammung von der Mutter bildet auch die Grundlage der Blutsverwandtschaft.  Der Vater gilt als Fremder in der Ehe, als Diener in der Mutterfamilie.  In den historischen Rechtssystemen tritt jeweils bereits der Vater als Herrscher der Familie auf; gleichwohl aber zeigen sich in den Rechten des Patriarchats noch Spuren des vorangegangenen prähistorischen M.'s.

Auch im j. Recht finden sich manche Anhaltspunkte, welche an ein vorangegangenes M. erinnern. So ist vor allem das aus verschiedenen Stellen der Genesis bekannte Recht der Mutter auf die Namensgebung der Kinder wohl eine Erinnerung an das ursprüngliche Matriarchat. Hagar nennt ihren Sohn Ismael (Gen. 16, 1 1); Lea und Rahel sind es, die ihren Söhnen die Namen geben (Gen. 29, 32ff.). Auch scheint es, daß in ältester Zeit nur die Ehe zwischen Geschwistern der gleichen Mutter untersagt war, die Ehe mit Geschwistern des gleichen Vaters aber nicht als verboten galt (vgl. Gen. 20, 12; II. Sam. 13, 13; Ez. 22, 11).