Jüdisches Lexikon

WÖRTERBUCH DES

JÜDISCHEN RECHTS
 
 Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927-1930)
erschienenen Beiträge zum jüdischen Recht
 
 MARCUS COHN

 

MISCHEHE

M. bezeichnet die Ehe zwischen Personen verschiedener Religionen, Rassen oder sozialer Schichten (in letzterem Sinne bestand z. B. im ältesten Rom kein "connubium", d. h. keine zivilrechtliche Ehefähigkeit zwischen Patriziern und Plebejern).  Die M. zwischen J. und Nichtj. war bereits in der biblischen Gesetzgebung untersagt, bezog sich freilich dort in erster Linie auf die kanaanitischen Völker, deren Land die Israeliten eroberten.  Deut. 7, 3f. warnt: "Du sollst dich nicht mit ihnen verschwägern (welo titchatten bam); deine Tochter sollst du nicht seinem Sohne geben und seine Tochter nicht für deinen Sohn nehmen.  Denn sie würden deine Söhne von mir abwenden, so daß sie anderen Göttern dienen." Die Befürchtung, die M. könnte zum Götzendienst verleiten, wird auch Ex. 34, 16 ausgesprochen; Targum Jonatan fügt zu dieser Gesetzesstelle erklärend hinzu: "Wer sich mit ihnen verschwägert, hat sich gleichsam mit ihren Götzen verschwägert."

Im Talmud wird vielfach erörtert, ob und inwieweit die Herkunft der damaligen Völkerschaften noch genau festzustellen ist und demgemäß die M. mit den in der Bibel ausdrücklich bezeichneten Völkern auch zur Zeit des Talmud noch Geltung hat.  Das Ergebnis dieser Untersuchungen im Talmud und in der nachtalmudischen Lit. zeigt im einzelnen für das Verbot der M. im j. Recht etwa folgendes Ergebnis:

1. Kanaanitische Völker.  Mit den 7 kanaanitischen Völkerschaften, die beim Einzug der Israeliten in Palästina wohnten, war die Eingehung einer M. wegen des von ihnen geübten Götzendienstes streng verboten und erstreckte sich auf Personen beiderlei Geschlechts.  Auch der Übertritt zum J.tum bewirkte nicht die Zulässigkeit einer solchen M. (anderer Meinung ist Maimonides, Hilchot Issure bia 12, 22).  Rechtlich würde freilich trotz des religiösen Verbotes die Eheschließung ihre Geltung haben.  Entsprechend wurden auch beim Einzug in das Land die Gibeoniten behandelt, über deren Zugehörigkeit zu den kanaanitischen Völkerschaften Josua, als er das Bündnis mit ihnen schloß, getäuscht worden war; er hielt aber gleichwohl den mit ihnen abgeschlossenen Friedensvertrag, bestimmte jedoch, daß sie in die j. Gemeinschaft nicht als vollberechtigte Bürger aufgenommen würden, sondern in dauernder Sonderstellung (Netinim) als Holzhauer und Wasserschöpfer verbleiben mußten (Jos. 9, 3ff.; b. Jew. 78b ff.).

2. Die sog.  Grenzvölker (Ammoniter, Moabiter, Ägypter und Edomiter).  Die Aufnahme von Angehörigen dieser Grenzvölker ist bereits in der bibl.  Gesetzgebung untersagt, u. zw. wird die Aufnahme der Ammoniter und Moabiter in die Religionsgemeinschaft auch im zehnten Geschlecht, d. h. für dauernde Zeiten (Deut. 23, 4), die der Ägypter und Edomiter bis in das dritte Geschlecht (Deut. 23, 8f.) verboten.

Das Verbot der M. mit den Ammonitern und Moabitern erstreckte sich jedoch nur auf die männlichen und nicht auf die weiblichen Personen (Jew. 8, 3; b. Jew. 76b ff.). So wird auch im Buche Rut die Ehe der moabitischen Mädchen Orpa und Rut mit den Söhnen Elimelechs ohne Tadel erwähnt und die zweite Ehe der Rut mit Boas, aus der nach der Überlieferung dann Davids Ahnen hervorgingen, sogar bes. gepriesen.  Im Talmud wird gemäß der milderen Ansicht des R. Josua im Gegensatz zur strengeren Meinung des R. Gamaliel entschieden, daß der Übertritt eines Ammoniters (das gleiche gilt auch für die anderen Grenzvölker) zum J.tum möglich ist, weil die urspr. in der Bibel bezeichneten Grenzvölker sich bis zur Zeit des Talmud nicht mehr rein erhalten haben (b.  Ber. 28a-, Jad. 4, 4; E. H. 4, 10).

3. Andere fremde Völker.  Das Verbot der M. mit anderen fremden Völkern ist von Esra streng angeordnet worden; ob die Normierung bereits in der bibl.  Gesetzgebung vorliegt, ist umstritten.  Wohl war auch früher bereits die Ehe mit heidnischen Töchtern verpönt.  Abraham läßt sich von seinem Diener schwören, daß er für seinen Sohn keine kanaanitische Tochter zur Frau nehmen werde (Gen. 24, 3; vgl. auch Buch der Jubiläen 24, 4).  Rebekka fürchtet, Jakob könnte sich eine der Töchter Chets (Hetiter) zur Frau nehmen und entsendet ihn darum in das Haus ihres Vaters (Gen. 27, 46; 23, lff.). Auch wird bisweilen eine M. tadelnd erwähnt, so die M. zur Zeit der Richter (Ri. 3, 6), die Ehe Simsons mit einer Philisterin (Ri. 14, 3), die M. Salomos (l.  Kön. 11, lff.) usw.

Andererseits aber werden mehrfach auch M. erwähnt, die keinen Anstoß erregten: Josef heiratet die Tochter eines ägypt.  Priesters (Gen. 41, 45), Moses die Tochter des midjanitischen Priesters Jetro (Ex. 2, 21).  Auch aus den Vorschriften über die Behandlung der Kriegsgefangenen (Deut. 21, 11) scheint hervorzugehen, daß die Ehe mit fremden Frauen gestattet war, jedoch hatte dem Abschluß der Ehe ein Wechsel des Religionsbekenntnisses vorauszugehen, wie dies auch aus Rut 1, 16 ("dein Gott sei mein Gott") entnommen werden kann (Maimonides, Hilchot melachim 8, 5ff.; Issure bia 13, 14ff.).

Nach Beendigung der babyl.  Gefangenschaft erfuhr die Einstellung zur M. jedoch eine grundsätzliche Änderung, weil sie in so großer Zahl abgeschlossen wurde, daß die Erhaltung der j. Gemeinschaft bedroht schien.  Esra ergriff daher die strengsten Maßnahmen gegen die ohne vorangehenden Übertritt zum J.tum eingegangene M., ließ die Auflösung sämtlicher M. beschließen und die fremden Frauen wegschikken.  Diese Maßregel fand zunächst Widerspruch, wurde aber wegen der Erfordernisse der Zeit anerkannt und durchgeführt (Esr.  Kap. 9 und 10; Neh. 13, 23ff.). Als später, z. Z. der Makkabäer, M. wiederum bes. zahlreich eingegangen wurden (l.  Makk. 1, 12), wurden sie von einem hasmonäischen Gerichte ein für allemal verboten.  Auch von seiten des röm.-christlichen Kaisers Konstantin wurde 339 n. die M. bei Todesstrafe untersagt und dieses Verbot von späteren Konzilen der Kirche erneuert (Cod.  Just. 1, 9, 7).

Das j. allgemeine Verbot der M. wurde später nochmals erlassen und unter die sog.  "18 Bestimmungen" aufgenommen (b.  A. S. 36b; Sabb. 1, 4), die von der im Söller des Chananja ben Chiskia ben Garon tagenden Gelehrtenversammlung getroffen wurde.  Der Genuß von Wein, der vom Nichtj. berührt worden ist (Jajin nessech), wird mit der Begründung untersagt, daß der Weingenuß zu einer intimeren gesellschaftlichen Annäherung und so zur M. führen könne.  Die Ehe zwischen J. und Übergetretenen ist jedoch zulässig, die religiöse Trauung darf in diesem Falle nicht versagt werden; freilich werden an den Übertritt zum J.tum in solchen Fällen erhöhte Anforderungen gestellt.  Die M. mit Angehörigen j. Sekten, vor allem den Karäern und den Marranen bildet in den vergangenen Jahrhunderten wiederholt den Gegenstand lebhafter und scharfer Diskussionen und Erörterungen.

Die 1807 durch Napoleon 1. nach Paris einberufene Rabbinerversammlung (Sanhedrin) beantwortete die Frage nach der Zulässigkeit der M. dahin, daß das j. Recht eine solche Ehe, wenn sie nach den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzes in gültiger Weise geschlossen ist, zwar nicht mit dem Bann (cherem) belege, es aber ablehne, sie einzusegnen.  Die erste deutsche Rabbinerversammlung zu Braunschweig i. J. 1844 beschloß weitergehend, daß die Ehe eines J. mit Angehörigen der monotheistischen Religionen nicht verboten sei, wenn den Eltern von den staatlichen Gesetzen gestattet wird, die aus solcher Ehe hervorgehenden Kinder auch in der j. Religion zu erziehen.  Ein Zusatzantrag, daß solche Ehen vom Rabbiner eingesegnet werden dürfen, wurde freilich auch von dieser Rabbinerversammlung abgelehnt, wie denn auch späterhin, als die Frage 1869 neuerdings die erste j. Synode in Leipzig beschäftigte, selbst von seiten der reformistischen Kreise zugestanden wurde, daß die M. vom religiösen Standpunkt entschieden abgelehnt werden müsse.  Andere, wie z. B. Samuel Holdheim, traten freilich energisch für die religiöse Zulässigkeit der M. ein.  Im Zusammenhang mit dem Prozesse des Dr. Falkson in Königsberg, der sich in England mit einer Christin von einem christlichen Geistlichen trauen ließ und dessen Ehe von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurde, holte das Kgl.  Konsistorium zu Königsberg ein Gutachten von Rabbiner Oettinger in Berlin ein, aufgrund dessen der Gerichtshof zu Königsberg die Nichtzulässigkeit der M. nach j. Recht entschied.

Durch die obligatorische Einführung der Zivilehe hat die M. jedoch aufgehört, eine staatsrechtliche Frage zu sein und ist auf ihre rein innerj.  Bedeutung zurückgeführt worden.  Seit Anfang des 20.  Jh. nimmt man in weiteren, auch liberalen j. Kreisen nicht nur aus religiösen, sondern auch aus nationalj.  Gesichtspunkten gegen die M. eine völlig ablehnende Stellung ein, da sie gleich der Taufe den Bestand des J.tums gefährdet.