Jüdisches Lexikon

WÖRTERBUCH DES

JÜDISCHEN RECHTS
 
 Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927-1930)
erschienenen Beiträge zum jüdischen Recht
 
 MARCUS COHN

 

 

MAMSER

Bastard, d. h. Kind verbotener Ehe) kommt in der Bibel nur zweimal (Deut. 23, 3 und Sech. 9, 6) vor, wird im Talmud von mum-sar "Schandflecken") abgeleitet und bez. in erster Linie das in Blutschande oder Ehebruch gezeugte Kind (Jew. 4, 13 und b. Jew. 49a ff.). Hierfür spricht auch die Übersetzung in Septuaginta, Vulgata und Targum Jonatan; Mendelssohn hat sich dieser Deutung angeschlossen und Luther übersetzt M. entsprechend mit "Hurensohn".  Von A. Geiger (Urschrift, S. 52) wurde versucht, das Wort M. auf eine Zusammensetzung der hebr. Worte meam-sar ("T-mw72), d. h. "aus fremdem Volke", zurückzuführen; demnach würde es urspr. ein in einer Mischehe erzeugtes Kind bezeichnen.  Diese Vermutung, die sich auf Sech, 9, 6 berufen konnte, ist jedoch mit der bibl.  Quelle, in der deutlich nur von dem in Blutschande gezeugten Kinde die Rede ist, sowie mit der talmudischen Auffassung kaum in Einklang zu bringen und daher auch zumeist abgelehnt worden.

Die Vorschriften über den M. sind im allgemeinen sehr streng; sie wollen die Reinheit der Familie und der Ehe sichern, und so erklären sich auch die in mancher Hinsicht scharfen Bestimmungen.  Auf dem Gebiete des Scheidungsrechts sind einige Verordnungen erlassen worden, um die Sicherheit des Scheidungsverfahrens und das Vorkommen von M.'im unbedingt zu vermeiden (j. Gitt. 45c).  Späterhin läßt sich jedoch die Tendenz der Halachisten feststellen, die urspr. sehr strengen Vorschriften nach Möglichkeit zu mildern. In der Mischna (Jew. 4, 13) findet sich eine Verhandlung darüber, welche unbeachteten Ehehindernisse das Kind zu einem M. machen.

Gemäß der Halacha ist nur das aus einer Ehe in den bibl. verbotenen Verwandtschaftsgraden sowie das aus einem Ehebruch hervorgehende Kind als M. zu betrachten. Ein Ehebruch wird z. B. vermutet, wenn das Kind erst zwölf Monate nach der Abreise des Ehemannes geboren wird (b.  Jew. 80b).  Auch bei irrtümlichem Abschluß einer verbotenen Ehe bleibt das Kind ein M. Das Kind, das aus der Ehe eines Priesters mit einer Geschiedenen hervorgeht, gilt nicht als M., sondern nur als entweiht (chalal) und damit als ungeeignet für das Priestertum sowie für die Priesterehe. Ferner ist nach der anerkannten Rechtsauffassung das Kind aus einer Mischehe kein M. Jeder kann sich selbst und auch seinen unverheirateten Sohn, diesen jedoch nicht mehr nach dessen Verheiratung, als M. erklären.  Bezeichnet jemand einen anderen grundlos als M., so wird er zur Geißelstrafe (Malkut) verurteilt.

Außer dem M., der aus einer Inzestehe oder aus einem Ehebruch hervorgeht, kennt das j. Recht im Gegensatz zum sicheren M. (mamser waddaj) noch den zweifelhaften M. (mamser safek), das Kind einer Frau, deren frühere Ehescheidung oder deren anderweitige Antrauung in rechtlicher Hinsicht ungewiß ist.  Ein solcher M. darf bis zur Klärung der Rechtslage überhaupt nicht heiraten, auch nicht einen anderen zweifelhaften M. Zu Unrecht wird im Volksmund auch das uneheliche Kind als M. bezeichnet, während es jedoch keineswegs als M. im j.-rechtlichen Sinne zu betrachten ist.  Das uneheliche Kind (Schetuki) folgt rechtlich vielmehr stets dem Rechtsstande der Mutter, falls der Vater unbekannt ist. Ist auch die Mutter des Kindes unbekannt, so wird es als Findling behandelt.  Diese unehelichen Kinder und Findlinge gelten als zweifelhafte M.'im. Die Mischna (Kidd. 4, 3) zählt als weiteren zweifelhaften M. den Kutäer (Samaritaner) auf (b.  Kidd. 74a ff.; 4, 36).

Die bibl. Quelle Deut. 23, 3 besagt, daß der M. und selbst das zehnte Geschlecht nach ihm (d.h. ohne zeitliche Begrenzung) nicht in die Gemeinde des Ewigen kommen, d. h. eine Ehe mit einem J. eingehen dürfe.  Die Disqualifikation des M. berührt somit nicht seine allgemeine rechtliche und gesellschaftliche Stellung, sondern nur sein connubium, sein Recht auf Verehelichung.  Der M. ist in dieser Beziehung den Netinim gleichgestellt (b.  Jew. 78b).  Im übrigen jedoch ist auch der M. dem vollberechtigten j. Bürger gleichgestellt.  Er darf - freilich nur in Vermögenssachen, nicht in Strafsachen - ein Richteramt bekleiden, und seine Entscheidungen haben Rechtskraft (Sanh. 4,2 und Nid. 4, 6; Maimonides, Hilchot Sanh. 11, 11; Ch. M. 7, 2).  Seine Zeugenaussage wird anerkannt, er ist zur Einhaltung der religiösen Vorschriften verpflichtet, darf zur Tora aufgerufen werden (0. Ch. 282, 3), hat evtl.  Anspruch auf das Erstgeburtsrecht usw.  Daß die Sonderstellung des M. sich ausschließlich auf seine Ehefähigkeit bezieht, geht auch deutlich aus dem talmudischen Werturteil hervor: "Ein Mamser, der ein Gelehrter ist, steht höher als der unwissende Priester" (Hor. 3, 8).

Auch die Kinder eines M. sind M.'im (b. Jew. 78b).  Sie dürfen daher nur untereinander heiraten. Dem zweifelhaften M. ist jedoch auch dieses nicht gestattet; diesem wird vielmehr angeraten, Proselyten zu ehelichen.  Erleichternd wurde bestimmt, daß der Makel nicht auf die Kinder übertragen wird, wenn der M. eine Sklavin heiratet.  Dann richten sich die Kinder nach dem Stand der Mutter und werden, sobald sie von ihrem Herrn freigelassen werden, auch hinsichtlich der Ehefähigkeit vollberechtigte j. Bürger (Kidd. 3, 13). Proselyten dürfen M.'im heiraten; jedoch haftet dann auch den Kindern dieser Makel an. Zu den eschatologischen Ideen gehört die Lehre, daß die M.'im zur Zeit des Messias ihre Unreinheit verlieren (b. Kidd. 72b).