Jüdisches Lexikon

WÖRTERBUCH DES

JÜDISCHEN RECHTS
 
 Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927-1930)
erschienenen Beiträge zum jüdischen Recht
 
 MARCUS COHN

 

   

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KETUBA

("das Geschriebene") Die Eheurkunde, welche die Verpflichtung des Ehemannes (donatio propter nuptias) enthält, der Ehefrau im Falle der Scheidung oder seines Todes eine bestimmte Summe auszuzahlen bzw. auszahlen zu lassen.  Ursprünglich dürfte diese Urkunde sefer ketubba oder schtar ketubba  und erst später in der Umgangssprache K. schlechthin genannt wordensein. In j.-griech. Kreisen war statt K. der Ausdruck gamiskos gebräuchlich, ferner für die der Frau verschriebene Summe der vom Griech. übernommene Ausdruck purna Gleichzeitig bedeutet K. aber auch die in der K. der Ehefrau verschriebene Summe.

Das Alter und die geschichtliche Entwicklung der K. sind bereits im Talmud umstritten.  Ihr Ursprung geht wohl auf den Kaufpreis (mohar) zurück, den der Bräutigam anfänglich dem Vater der Braut bezahlte (Ex. 22, 16).  Dieser wird auch ausdrücklich noch im Papyrus G von Assuan erwähnt, wo sich die älteste erhaltene K. aus dem 5. Jh. findet.  Sie enthält bereits die Formeln, die später im Talmud wiederkehren.  Ein der K. ähnlicher Vertrag findet sich in dem apokryphischen Buch Tobit, Kap. 7, 12f. Umstritten ist im Talmud, ob die K. als biblische oder als rabbinische Anordnung zu betrachten ist (b.  Ket. lOa; 56a).

In talmudischer Zeit zeigt sich die Tendenz, die in der K. vorgesehenen Ansprüche der Ehefrau zu sichern.  Dem Ehemann sollte eine leichtfertige Scheidung unmöglich gemacht, und die Ehefrau sollte für den Fall des Witwenstandes geschützt werden.  Zunächst hafteten die Güter des Ehemannes nicht für die K.-Ansprüche. Es bestand vielmehr die Möglichkeit, daß von den Erben des Ehemannes dessen Vermögen auf die Seite geschafft und dem Zugriff der Frau entzogen wurde. Nach dem Talmud (b. Ket. 82b) wurde daher zunächst verordnet, daß die der Ehefrau verschriebene Summe im Hause ihres Vaters deponiert werde. Dies erleichterte aber dem Ehemann wiederum die Ehescheidung, da er aufgrund der bereits geleisteten Deposition ohne weitere finanzielle Opfer seiner Frau erklären konnte: "Gehe zu deiner K." Daher wurde später die Anordnung getroffen, daß die in der K. verschriebene Summe der Ehefrau selbst übergeben wurde, die davon verschiedene Hausgeräte anschaffte.  Gleichwohl war die Scheidung für den Ehemann immer noch leicht; denn er konnte bei geringfügigem Anlaß der Ehefrau erklären: "Nimm deine Sachen und gehe." So wurde schließlich festgesetzt, daß der Ehemann die in der K. genannten Beträge persönlich behalten und in seinem Geschäfte für sich verwenden könne, daß jedoch seine gesamten Güter für die Ansprüche der Ehefrau von Gesetzes wegen generalhypothekarisch haften (s. Pfandrecht). Dadurch war nun bewirkt, daß der Ehemann durch die ihm obliegenden güterrechtlichen Verpflichtungen von einer leichtfertigen Scheidung abgehalten wurde.  War diese Haftung zunächst auf die Immobilien beschränkt, so wurde der Ehefrau später, als der Grundbesitz bei den J. eine Seltenheit wurde, auch das Recht eingeräumt, auf die Mobilien des Ehemannes zu greifen, "selbst auf den Mantel, der auf seinen Schultern liegt" (Tossaf.  Ket. 49b; E. H. 100, 1).  Mußte die Ehefrau ursprünglich sich mit minderwertigen Gütern begnügen (Gitt. 5, 1), so wurde sie späterhin aufgrund einer besonderen in die K. aufgenommenen Klausel berechtigt, auch die wertvolleren Immobilien für sich in Anspruch zu nehmen.  Die Forderungen aufgrund der K. gehen denen aller anderen Gläubiger vor. Die gesetzliche generalhypothekarische Haftung sämtlicher Güter des Ehemannes ist auf Simon b. Schetach (etwa 80 v.) zurückzuführen (Ket. 4, 7; b. Ket. 82b).

Die Summe, die der Ehefrau vom Ehemann für den Fall der Scheidung oder seines Todes zugesichert wurde, betrug, falls sie als Jungfrau in die Ehe trat, 200 Denare (Sus), falls sie als Witwe oder Geschiedene geehelicht wurde, 100 Denare (Ket. 1, 2); diese Summe galt als gesetzlich, auch wenn sie nicht schriftlich ausbedungen war (Ket. 4, 7). Die genannten Beträge, welche nur als Minimalbeträge zu gelten haben, wurden jedoch in aristokratischen, bes. in Priesterfamilien, bisweilen wesentlich erhöht (Ket. 5, 1; b. Ket. 12b).  Der Wert wurde späterhin vielfach selbst in Städten des gleichen Landes verschieden berechnet.

Fügt der Ehemann zu der Grundsumme der K. noch Zusatzbeträge (,tossefet K) hinzu, so hat diese Zusatz-K. gleiche rechtliche Gültigkeit wie der übrige Inhalt der K. Auch diese Zusatz-K. ist eine Forderung an den Mann, die seiner Ehefrau nach Auflösung der Ehe zusteht. Üblich ist es, eine Zusatz-K. im Betrage von 1/3 der eigentlichen Summe beizufügen; später wurde deshalb einfach als gesamter Anspruch 100% des Betrages eingesetzt.  Außerdem kann sich der Ehemann in der K. für sich und seine Erben zur Verwaltung der ihm übergebenen Mitgift, deren Höhe in der K. festgesetzt wird, und zu deren Rückgabe im Falle des Todes oder der Ehescheidung verpflichten.  Dieser Teil der Mitgift wird als (nichsse zon barsel"Güter des eisernen Schafes" bezeichnet, während für die nichsse millug, "Pflück- oder Paraphenalgüter", welche i n der K. nicht erwähnt werden, der Ehemann keine Haftung übernimmt und ihm an ihnen daher auch nur das Nutznießungsrecht zusteht (s. die Grundsätze des ehelichen Güterrechts in Art.  Eherecht).  Heiratsgut und Morgengabe werden zunächst mit dem gleichen Betrage (100 Schekel) angegeben.  Weitere Beträge wurden bes. in dem anläßlich der Verlobung abgeschlossenen Vertrage vereinbart, jedoch nicht in die K., die öffentlich verlesen wurde, aufgenommen.  Die Aufnahme von verschiedenen anderen Bedingungen (tena-im) in die K. ist schon in alter Zeit üblich gewesen (Ket. 9, 1), bes. die durch den Abschluß der Ehe dem Ehemann auferlegten allgemeinen Pflichten (s.  Eherecht).  Erwähnt wird z. B. die Verpflichtung des Ehemannes, die in Gefangenschaft geratene Ehefrau auszulösen und als Frau zurückzunehmen.  Bei der Frau eines Kohen (Priesters), der eine gewesene Gefangene nicht als seine Frau behalten darf, heißt es: "Ich werde sie in das Heim ihres Vaters zurückführen." Die K. enthielt ferner in nachtalmudischer Zeit auch noch eine Klausel, die sog.  K. banin dichrin. Durch diese "K. der Söhne der früheren Ehe", deren Mutter gestorben ist und deren Vater eine zweite Ehe geschlossen hat, wird für den Fall, daß Söhne auch aus der zweiten Ehe des Vaters hervorgehen, festgesetzt, daß der K.-Betrag und die Mitgift der ersten Frau deren Söhnen vorweg ausbezahlt wird, und daß nur das restliche Vermögen unter die gesamten Kinder zur Verteilung kommt (s.  Eherecht und Erbrecht).

Die Ansprüche der Ehefrau aus der K. erlöschen gänzlich, wenn sie vor dem Ehemann stirbt.  Beim Vorliegen gewisser Ehescheidungsgründe kann die Ehefrau auch zur Strafe für ihr Verhalten der K. gänzlich verlustig gehen (Sota 4, 5; Ket. 7, 6; Kidd. 2, 5). Bei Verweigerung des ehelichen Verkehrs von seiten der Frau (s.  Eherecht) kann eine Reduktion der K.-Ansprüche angedroht und durchgeführt werden, während im umgekehrten Falle der Frau eine wöchentlich zu berechnende Erhöhung der K. zusteht (Ket. 5, 7; E. H. 71, lf.).

Ohne die Ausstellung einer K. war die Eheschließung nach j. Recht nicht rechtsgültig vollzogen, obwohl die Ansprüche nach vollzogener Ehe der Ehefrau von Gesetzes wegen zustehen (b. Ket. 57a; B. K. 89a; E. H. 66, 1 und 3).  Die Beurkundung der K. erfolgt erst anläßlich der Heimführung (Chuppa-Nissuin), dem zweiten Akt der Eheschließung.  War die K. jedoch schon anläßlich der Verlobung-Antrauung (Erussin-Kidduschin) ausgefertigt worden wie dies noch zur Zeit der Mischna wohl der Fall war (Ket. 5, 1) -, so war die "Verlobte" (Erussa), falls es nicht zum eigentlichen Eheschließungs-Akt kam, gleichwohl berechtigt, ihre Ansprüche aufgrund der K. zu fordern (E.  H. 57, 6).  Die K. wird nach dem geltenden j. Recht bei der Hochzeit (s. Eherecht) verlesen, und zwar zwischen den Berachot des Verlöbnisses (Erussin) und denen der Vermählung (Nissuin).  Die früher anläßlich des Verlöbnisses (Erussin) ausgefertigte K.-Urkunde, welche nur ein Versprechen über künftige Leistung enthält, wird nun durch die anläßlich der eigentlichen Verlobung getroffenen Vereinbarungen ersetzt, welche in dem talmudischen Schetar pessikta (b. Kidd. 9b) ihren Vorläufer haben. Ist die K. verlorengegangen, so hat die Ehefrau eine neue K. zu beanspruchen (K. dearketa) "Ersatz-K.". Es wird dem Ehemann, damit ihm die Ehescheidung nicht erleichtert sei, im Talmud sogar untersagt, mit seiner Ehefrau zusammenzuleben, falls keine K. vorhanden ist (b.  Ket. 57a). Noch zur Zeit der Mischna gab es Ortschaften, in denen eine K. nicht ausgestellt wurde. Gleichwohl standen aber der Frau die in der K. erwähnten Ansprüche von Gesetzes wegen zu (b.  Ket. 89a).
Die K. bedeutete für die Frau eine wesentliche Sicherung ihrer Ansprüche in einer Zeit, da die Ehescheidung (s. Eherecht) ohne und gegen ihren Willen vom Ehemann erzwungen werden konnte.  Seitdem jedoch durch die Verordnungen von R. Gerschom im 11. Jh. eine Ehescheidung gegen den Willen der Ehefrau untersagt wurde, hat die K. ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, ist aber trotzdem bei den Formen der Eheschließung in der ursprünglichen Fassung beibehalten worden.
Der (aramäische) Text der K. lautet in der heute im Osten üblichen Fassung (nach Nachlat schiw-a Nr. 12) etwa folgendermaßen:

"Am... Tage der Woche, am ... Tage des Monats... des Jahres ... nach Erschaffung der Welt, nach der Zeitrechnung, die wir hier in der Stadt X zählen.  Es hat N., Sohn des M., zu der Jungfrau A., Tochter des B., gesagt: Sei mir zur Frau nach dem Gesetze Moses und Israels, und ich will für dich arbeiten, dich in Ehren halten, dich ernähren und versorgen, nach der Sitte der jüdischen Männer, die in Redlichkeit für ihre Frauen arbeiten, sie ehren, ernähren und versorgen.  Auch will ich dir die Morgengabe deiner Jungfräulichkeit geben, 200 Sus (Denare) in Silbermünzen, die dir gemäß der Tora gebühren, wie auch deine Speise, deine Kleidung und all deinen Bedarf, und ich komme zu dir nach der Weise der ganzen Welt.' Und sie, die Jungfrau, hat eingewilligt, ihm zur Frau zu werden.
Und die Mitgift, die sie vom Hause ihres Vaters mitbekommt, sei es in Silber, Gold, Schmucksachen, Kleidungsstücken, Hausgeräten oder Bettzeug, beträgt 100 Silbermünzen.  Und N., der Bräutigam, hat eingewilligt, ihr noch 100 Sus Silbermünzen zuzufügen, so daß die ganze Summe 200 Silbermünzen beträgt.
Und N., der Bräutigam, sprach also: Ich übernehme die Gewährleistung für diese Ketubba, Mitgift und Zugabe sowohl für mich als auch für meine Erben nach mir, so daß sie ausbezahlt werden soll mit dem Besten und Vorzüglichsten meines Vermögens, das ich auf Erden besitze, das ich erwarb oder erwerben werde, sei es an Immobilien oder an Mobilien.  All dieser Besitz, selbst mein Mantel auf meinen Schultern, soll gewährleisten oder verbürgen, daß deine Ketubba, Mitgift und Zugabe bezahlt werde bei meinem Leben und nach meinem Tode, vom heutigen Tage an in alle Ewigkeit.'
Die Gewährleistung für Morgengabe, Mitgift und Zugabe übernahm N., der Bräutigam, gemäß strengen Vorschriften der Ketubba und der Zusatz-Urkunden, wie sie bei den Töchtern Israels gebräuchlich sind, und nach den Anordnungen unserer Weisen, nicht etwa als bloßes Versprechen oder als Urkundenformular.
All dies ist erklärt worden von seiten des Bräutigams N., Sohn des M., für A., Tochter des B., in bezug auf alles oben Geschriebene und Erklärte, um es rechtskräftig zu erwerben.  Wir (die Zeugen) haben vom Bräutigam N., Sohn des M., für die Braut A., Tochter des B., die Jungfrau, mittels eines Kleidungsstückes, welches zum Kinjan geeignet ist, rechtskräftig die vorstehenden Rechte erworben.
Alles ist fest und rechtsgültig.
Unterschrift: ... Sohn des..., Zeuge ... Sohn des . . . ., Zeuge."

In manchen Gegenden fügt auch der Bräutigam seine Unterschrift bei.