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Jüdisches Lexikon |
WÖRTERBUCH DES
JÜDISCHEN RECHTS
Neudruck 1980 der im "Jüdischen Lexikon" (1927-1930)
erschienenen Beiträge zum jüdischen Recht
MARCUS COHN
CHUPPA
(Baldachin) 1. Die Ch. - schon in der Bibel das Brautgemach (Joel 2, 16; Ps. 19, 6) - ist das Trauungszelt, unter dem während der Eheschließung das Brautpaar mit den Unterführern und den Funktionären steht. Bei bes. festlichen Gelegenheiten wird im übr. auch die Torarolle unter einer Ch. getragen. Das deutsche "unter die Haube bringen" hat mit Ch. wohl nichts zu tun, sondern kommt daher, daß gegen Ende des Mittelalters die Haube die Tracht verheirateter Frauen wurde.
2. Die Ch. hat bei der Eheschließung des Rechts auch eine formelle Funktion. Die Eheschließung vollzieht sich im Recht des Talmud durch die beiden voneinander völlig getrennten Akte der kidduschin-erussin (Antrauung) und der nissuin-chuppa (Vereinigung). Im einzelnen kann bezüglich der Entwicklung des Nissuin-chuppa-Aktes folgende Entwicklung (nach der Theorie von S. B. Rabinkow) festgestellt werden. In der ersten Epoche, für die die Quellen sehr spärlich fließen, war der Nissuin-chuppa-Akt der materielle Vollzug der Ehe und bedeutete das faktische Zusammenleben. Mit diesem Akte war notwendig die Vereinigung der Ehegatten und die copula carnalis verbunden (jichud, Alleinsein, und bia, Geschlechtsverkehr). In der zweiten Epoche hat der Nissuinchuppa-Akt bereits mehr eine formelle Bedeutung erlangt. Man begnügte sich mit dem Nachweis des faktischen Hineingehens in das Haus (reschut) des Mannes (jichud ohne bia). In der dritten Epoche waren die tatsächlichen Momente des Nissuin-chuppa-Aktes bereits abgestreift; es war weder jichud noch bia notwendig. Ch. bedeutet hier nur noch soviel wie rechtliche Sphäre des Mannes, und die bezüglichen Zeugen haben auch nur das Eintreten in diese Sphäre des Ehemannes zu bezeugen. In der vierten Epoche wird dieser Begriff der rechtlichen Sphäre schon ganz abstrakt aufgefaßt. Es wird kein tatsächliches Hinüberschreiten in die Sphäre des Mannes mehr verlangt, sondern es kann auch im Vaterhause der Braut dieser symbolische Ch.-Akt, z. B. durch eine Erklärung, in die Sphäre des Mannes hinübergehen zu wollen, vorgenommen werden. Bei diesem Akte war nunmehr Anwesenheit des Ehemannes nicht mehr erforderlich; es genügten aber auch nicht mehr, wie in einem früheren Stadium, die Freunde des Ehemannes (schoschwina, Hochzeitskameraden), sondern es war jetzt notwendig, qualifizierte Zeugen zu diesem Akte hinzuzuziehen, bei dem vermutlich der Braut die hinuma (Kopfschmuck) auf das Haupt gesetzt wurde. Diese letzte Entwicklung kommt wohl auch in der Mischna (Ket. 4, 5) zum Ausdruck, wo diese Vertreter als notwendiger Bestandteil des Aktes als Zeugen figurieren.
Durch die spätere Regelung der Vereinheitlichung des Kidduschin- mit dem Nissuin-chuppa-Akt, wie sie auch heute noch geltendes j. Recht ist, werden von den zugezogenen Zeugen gleichzeitig beide Akte bestätigt (s. Eherecht).